Fakt oder Fiktion? Wie Migration in der Bevölkerung wahrgenommen wird

Südwind präsentiert neue Zahlen zu Bewertung und Stereotypen von Migration und den Einfluss der Medien darauf, Expertinnen und Experten ordnen ein

Wien, 11.Oktober 2019 – „Wahrnehmung, Stereotype und Wissenslücken bei EU Bürgerinnen und Bürgern über Migration“: so lautet der Titel der neuen, von Südwind in Auftrag gegebenen, Studie. Sie wurde am 11. Oktober vorgestellt, anschließend an die Präsentation der Umfrageergebnisse wurden diese gemeinsam mit Expertinnen und Experten diskutiert und eingeordnet. Klare Conclusio: Migration ist und bleibt ein sehr komplexes Thema, das medial oft sehr vereinfacht dargestellt wird. Das führt zu einer Vertrauenskrise in die Medien. Es wird viel über, aber wenig mit MigrantInnen berichtet. Und obwohl es der österreichischen Bevölkerung gut geht, wird Migration als Herausforderung gesehen.

Den 1000 befragten Österreicherinnen und Österreichern geht es gut - so bewerten sie die Wirtschaftslage und die eigene berufliche und finanzielle Situation. Trotzdem wird Migration als eine der größten Herausforderungen für das Land gesehen. 41 % fühlen sich von MigrantInnen in ihrer Sicherheit bedroht, sogar 29 % würden Flüchtende auf Booten wieder in ihre Herkunftsländer zurückschicken. Julia Weber, Südwind-Mitarbeiterin, dazu: „Es scheint hier große Ängste und Verunsicherung in der Bevölkerung zu geben. Neben den Medien, deren Rolle es kritisch zu hinterfragen gilt, ist aber auch die Politik gefordert. Sie muss dringend die notwendigen Rahmenbedingungen für menschenwürdige, solidarische, aber auch klar definierte Migration schaffen. Damit sich die Menschen in Österreich damit nicht allein gelassen fühlen und Geflüchtete, Migrantinnen und Migranten nicht ihrer Menschenrechte und Menschenwürde beraubt werden.“

Schwarz-weiß denken zum Thema Migration
Den Einfluss von Migration auf die Gesellschaft wird sehr unterschiedlich gesehen. 49 % stehen Migration neutral oder positiv gegenüber, 49 % befürchten hingegen negative Auswirkungen. „Diese Spaltung hat damit zu tun, dass unsere Gesellschaft tendenziell auseinanderdriftet und in vielen Themen gespalten ist. Verstärkt wird das einerseits durch soziale Medienräume, wo die Menschen meist nur auf Gleichgesinnte treffen und die eigene Meinung bestätigt bekommen. Sogenannte Fake-News werden übernommen und gar nicht erst auf Richtigkeit überprüft. Andererseits hat die Politik einen großen Einfluss, indem sie durch sogenanntes Framing oft gezielt Meinungen steuert und Emotionen schürt. Diese werden durch klassische Medien weitertransportiert. Daher ist es ganz besonders wichtig, Bewusstsein für diese Prozesse zu schaffen und gleichzeitig Begegnungsräume zu eröffnen, in denen Menschen unterschiedlicher Meinung und Herkunft aufeinandertreffen“, erklärt Katja Horninger vom Fonds Soziales Wien.

Interessant: Die Wahrnehmung des Ausmaßes von Migration ist viel höher als die tatsächlichen Zahlen. Der Anteil an Migrantinnen und Migranten sowie Musliminnen und Muslimen wird um 19% höher geschätzt, als er tatsächlich ist. (35% anstatt 16% Migrantinnen bzw. 26% anstatt 7% Musliminnen)

Die Medien in der Vertrauenskrise
Auffällig ist der Anteil der Befragten, der klassischen Medien kein Vertrauen schenkt: Nur 27 % glauben, dass die Medienberichte über Migration, Migrantinnen und Migranten den Tatsachen entsprechen. 42% sind der Meinung, dass Medien Angst haben in ihrer Berichterstattung ein zu negatives Bild von Migration zu vermitteln, auch wenn es den Tatsachen entspräche. 32% geben an, dass sie glauben, dass die Medien Migrantinnen und Migranten in ein negativeres Bild rücken, als angebracht wäre. Ramin Siawash, afghanischer Journalist, der in Österreich lebt und arbeitet, liefert seine Einschätzung dazu: „Das Thema Migration wird in Österreich – ebenso wie von der Bevölkerung – auch von den Medien sehr polarisierend dargestellt. Objektivität scheint es hier wenig zu geben, wohl auch, weil sich Komplexität oft nicht in simplen Headlines darstellen lässt. Hier gilt es, sich als Medium selbst an der Nase zu nehmen und den eigenen Beitrag zur Vertrauenskrise zu hinterfragen. Wofür ich auch plädiere: Mehr Kontakt zu Migrantinnen und Migranten! Dann müssen Menschen nicht alles glauben, was in den Medien steht, weil sie ihre eigenen Erfahrungen machen. Das wäre sowohl für Migrantinnen und Migranten als auch für die Aufnahmegesellschaften sehr wertvoll“.

MigrantInnen in der Medienberichterstattung
Nur eine/einer von fünf Befragten ist der Meinung, dass in der Medienberichterstattung über Migration immer auch Migrantinnen und Migranten zu Wort kommen. Das sieht auch Richard Solder vom Südwind-Magazin ähnlich und fügt hinzu: „Die Herausforderung ist nicht nur, dass wenige Migrantinnen und Migranten zu Wort kommen, sondern auch, dass Redaktionsteams großer Medien oft wenig divers besetzt sind. Je mehr man Journalistinnen und Journalisten mit Migrationshintergrund selbst miteinbezieht, desto differenzierter wird das Bild, über das berichtet wird. Redaktionen sollten zudem raus gehen, mit Migrantinnen und Migranten, Expertinnen und Experten, und NGOs sprechen und recherchieren, anstatt nur die Aussendungen von Politik und Behörden zu übernehmen.“

Migration: es ist und bleibt komplex
Migration ist ein komplexes und vielschichtiges Thema, das zeigt auch die Studie. Gleichzeitig ist es auch integraler Teil einer globalisierten Welt. Jeder siebte Mensch auf diesem Planeten ist Migrantin oder Migrant. Global gesehen entspricht das rund einer Milliarde Menschen, die ihren Geburtsort verlassen und einen neuen Wohnsitz im Inland oder im Ausland haben. „Menschen migrieren aus den vielfältigsten Gründen, in unterschiedlichen Kontexten. Diesen Facettenreichtum darzustellen ist herausfordernd und voraussetzungsvoll. Es ist besonders wichtig, verantwortungsvoll an das Thema heranzutreten, fachliche Expertise einzuholen und vor allem auch die Perspektiven aller abzubilden, die betroffen sind - Migrantinnen und Migranten und die aufnehmende Bevölkerung mit eingeschlossen.",  meint auch Marian Benbow Pfisterer von der Internationalen Organisation für Migration (IOM) in Österreich.

Für 39% der Befragten macht es keinen Unterschied, ob jemand flüchtet oder migriert. Marie-Claire Sowinetz von UNHCR Österreich ruft abschließend zu einer Differenzierung auf: „Die Begriffe Flüchtlinge, Asylsuchende und MigrantInnen werden im politischen und medialen Diskurs oftmals ganz austauschbar verwendet, was zu Missverständnissen führen kann. Die richtige Bezeichnung ist aber wichtig, denn diese Worte sagen nicht nur aus, ob jemand vor Verfolgung flüchten musste oder aus anderen persönlichen Gründen das Heimatland verlassen hat, sie geben auch Aufschluss über die Rechte und die Situation dieser Personen. Deshalb ist es wichtig, sich der Macht der Worte bewusst zu sein und nicht zu vergessen, dass hinter diesen Begriffen Menschen mit ganz konkreten Geschichten und Schicksalen stehen“.

Die gesamte Studie zum Download finden Sie hier:
Wahrnehmung, Stereotype und Wissenslücken bei EU Bürgerinnen und Bürgern über Migration

Mehr Informationen zum Projekt finden Sie hier: www.suedwind.at/themen/migration-und-entwicklung/ciakmigraction/

Rückfragehinweis:
Theresa Gral, Südwind-Pressesprecherin, E-Mail: theresa.gral@suedwind.at, Tel.:+43 1 405 55 15 301, Mobil: +43 650 375 1987

CIAK MigrACTION! unterstützt Jugendliche und JournalistInnen dabei, den gesellschaftlichen Beitrag von MigrantInnen in ihren Aufnahmeländern zu beleuchten. Ziel des EU-Projektes ist es, zu einer Perspektivenvielfalt in den Medien beizutragen und so den dominierenden Negativschlagzeilen zu Flucht und Migration in den (sozialen) Medien entgegen zu halten. CIAK MigrACTION wird gemeinsam mit Partnerorganisationen in Griechenland, Ungarn und Italien durchgeführt und vom EU Fonds für Asyl, Migration und Integration gefördert.