Am Montag, dem 24. April, jährte sichder verheerende Einsturz des Rana Plaza-Gebäudes in Savar/Bangladesch, bei dem über tausend Textilarbeiter:innen starben, zum zehnten Mal.
Dieses Unglück war der traurige Gipfel von vielen Bränden und Unfällen in der Textilproduktion in Ländern des Globalen Südens, bei denen immer wieder zahlreiche Menschen ums Leben kamen oder verletzt wurden. Die gefährlichen Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie waren damit in aller Munde und die Betroffenheit groß.
Seitdem wurden Initiativen wie der Accord für Gebäude- und Feuersicherheit in Bangladesch und Pakistan auf den Weg gebracht, und zum ersten Mal übernahmen die Modekonzerne als Auftraggeber zumindest teilweise Verantwortung. Die Arbeitsbedingungen in der globalen Textil- und Bekleidungslieferkette sind jedoch nach wie vor prekär, gefährlich und vorallem sind Löhne noch immer nicht existenzsichernd für die Arbeiter:innen.
Die Clean Clothes Kampagne lud am 24. April 2023 zum gemeinsamen Gedenken an die verunglückten Arbeiter:innen am Platz der Menschenrechte in Wien ein.
Redebeiträge kamen unter anderem von Zeitzeug:innen, Vertreter:innen von Südwind, GLOBAL 2000, der Gewerkschaft PRO-GE, weltumspannend arbeiten (ÖGB), den Nationalratsabgeordneten Michel Reimon und Julia Herr sowie der ehemaligen EU-Parlamentarierin Ulrike Lunacek.
"Bangladesch ist nicht weit weg, die Kleidung, die dort produziert wird, hängt in unseren Schränken. Auch wir in Österreich sind verantwortlich, dass sich etwas ändert." – Ines Zanella von Südwind auf der Kundgebung
"Auch heute noch vergeht keine Woche ohne einen Fabrikunfall. Für viele Menschen in der Textilindustrie ist es ein tägliches Riskio zur Arbeit zu gehen." – Gertrude Klaffenböck, Leiterin der Clean Clothes Kampagne in Österreich bei der Gedenkveranstaltung
"Mit Rana Plaza ist ein Gebäude eingestürzt, weil es instabil war. Aber die ständige Gewinnmaximierung, die Profitgier von Konzernen war die Ursache. Wir müssen die Ursache nicht die Symptome bekämpfen." – SPÖ-Nationalrätin Julia Herr in ihrem Redebeitrag.
Eindrücke von der Veranstaltung gibt es oben in der Slide-Show.
Hintergrundinformationen: 10 Jahre Rana Plaza – Verbesserungen und anhaltende Missstände in der Textilindustrie
Am 24. April 2013 stürzte die Textilfabrik Rana Plaza in Dhaka, Bangladesch ein. Das Gebäude war am Vortag aufgrund großer Risse in den Wänden evakuiert worden. Doch die Fabrikbesitzer:innen drohten den Arbeiter:innen, sie würden Lohn verlieren, sollten sie nicht in das Gebäude zurückkommen. Aufgrund fehlender Gewerkschaften und Hungerlöhnen blieb vielen nichts anderes übrig. Das achtstöckige Gebäude, das fünf Textilfabriken beherbergte, stürzte wenige Stunden später in sich zusammen. Mehr als 1.175 Menschen starben, über 2.000 wurden verletzt. Es gilt als schwerste Katastrophe der Textilindustrie und sorgte für einen weltweiten Aufschrei.
Mindestens 29 globale Marken ließen in Fabriken von Rana Plaza Kleidung produzieren, darunter Primark (UK/Irland), Mango (Spanien), Kik (Deutschland) und Benetton (Italien). Viele große Firmen gaben vor, nicht gewusst zu haben, dass dort auch ihre Kleidung produziert wurde. Hier waren vor allem Aktivist:innen dafür verantwortlich, jene Marken zu identifizieren, indem sie in den Trümmern nach Kleidungsstücken gruben.
Was hat sich verbessert?
Dank des Internationalen Abkommens für Gesundheit und Sicherheit in der Textil- und Bekleidungsindustrie und seiner Vorgänger konnte die Anzahl tödlicher Unfälle, wie sie vor 2013 häufig auftraten, drastisch gesenkt werden. Der sogenannte Bangladesch Accord, ein verbindliches Abkommen, das infolge der Rana Plaza-Katastrophe zwischen Arbeitnehmer:innenvertretungen und Unternehmen ins Leben gerufen wurde, schreibt Sicherheitsvorkehrungen und Brandschutz in über 1.500 Fabriken vor. Es ist rechtlich bindend und verleiht Gewerkschaften mehr Wirkmacht, es sorgt zum Beispiel für unabhängige Beschwerdestellen für Arbeiter:innen.
Trotzdem gibt es Lücken: Der Beitritt zum Abkommen ist freiwillig. 190 Marken haben es unterzeichnet, große Marken wie Levi’s und IKEA aber nicht. Bisher beschränkt sich das Abkommen nur auf Bangladesch und seit 2022 auch auf Pakistan. Es gilt in Bangladesch allerdings nur bis 2023. Um ständige Neuverhandlungen und Aufweichversuche zu verhindern, fordert Südwind, die Gültigkeit des Abkommens ohne Ablauffrist zu verlängern und auf alle textilproduzierenden Länder auszuweiten.
“Es ist ein Skandal, dass europäische Textilkonzerne weiterhin mit Menschenleben pokern. Unternehmen sind dringend gefordert, Mindeststandards für die Sicherheit und Unversehrtheit ihrer Arbeiter:innen zu garantieren“, sagt Gertrude Klaffenböck, Koordinatorin der Clean Clothes Kampagne bei Südwind.
Wie wurde mit Entschädigungen umgegangen?
Die Überlebenden und betroffenen Familien der Rana Plaza-Katastrophe wurden für Einkommensverluste und medizinische Kosten nach den Standards der International Labour Organisation (ILO) vollständig entschädigt. Doch das Geld dafür wurde von den Modekonzernen erst nach zwei Jahren intensiver Kampagnenarbeit bereitgestellt und nicht alle Marken, die in der Rana Plaza-Fabrik produzieren ließen, zahlten ihren Anteil. Da diese Entschädigungen auf Einkommensverlusten ausgehend von sehr niedrigen Löhnen basierten, erhielten die Arbeiter:innen am Ende nur relativ niedrige Beträge. Für Schmerzen
und Leiden gab es keine Entschädigung.
Welche Probleme bleiben?
Der extrem niedrige Mindestlohn von etwa 8.000 Taka (70 Euro) pro Monat ist ein anhaltendes Problem. Gewerkschaften fordern Mindestlöhne zwischen 22.000 und 25.000 Taka (bis zu 217 Euro), um ein menschenwürdiges Leben zu führen. Berechnungen der Asia Floor Wage Alliance schätzen, dass Arbeiter:innen in Bangladesch eigentlich das Doppelte benötigen würden, um mit ihren Familien ein anständiges Leben führen zu können.
Laut aktuellen Recherchen der Clean Clothes Kampagne bleiben die meisten Textilkonzerne den Arbeiter:innen existenzsichernde Löhne schuldig und kommen ihren Transparenzversprechen gegenüber Kund:innen nicht nach. 60 Prozent von 264 befragten Modeunternehmen halten sich an keinerlei Transparenzverpflichtungen. Nur 46 befragte Unternehmen (17%) legen zusätzliche Informationen über ihre Lieferkette offen, etwa ob es am Arbeitsplatz eine Gewerkschaft gibt oder nicht. Und nur fünf Modeunternehmen geben an, dass sie zumindest einem Teil ihrer Arbeiter:innen existenzsichernde Löhne zahlen.
„Existenzsichernde Löhne sind ein Menschenrecht. Es ist an der Zeit, dass Fabrikbesitzer:innen und Modekonzerne Verantwortung übernehmen und menschenwürdige Bezahlung und Gewerkschaftsfreiheit zusichern”, so Gertrude Klaffenböck, Koordinatorin der Clean Clothes Kampagne bei Südwind.
Trotz Änderungen des Arbeitsrechts und einem Anstieg der Gewerkschaftsgründungen in den ersten Jahren nach dem Zusammenbruch gerät die Vereinigungsfreiheit in Bangladesch seither immer wieder unter starken Druck. In Folge von Lohnprotesten in den Jahren 2016-2017 und 2018- 2019 kam es zu großen Razzien bei Gewerkschaften und Arbeiter:innen.
Warum braucht es ein Lieferkettengesetz?
Viele Produkte, die wir täglich nutzen kommen nicht aus Europa und durchlaufen verschiedene Schritte in der Herstellung und Weiterverarbeitung in mehreren Ländern. Die billige Herstellung geht oft auf Kosten von Arbeitskräften, den Menschenrechten und der Umwelt. Für Unternehmen bleibt das meist folgenlos. Am 23. Februar 2022 ist der Gesetzesentwurf der EU-Kommission für ein EU-Lieferkettengesetz erschienen. Es soll verpflichtende menschenrechtliche und Umwelt-Sorgfaltspflichten entlang der Lieferketten festlegen. Es soll für alle Unternehmen gelten, die ihren Sitz in der EU haben sowie für in der EU tätige Firmen aus Drittstaaten ab 500 Mitarbeitenden und mehr als 150 Millionen Euro Umsatz weltweit. In Hochrisikosektoren wie der Bekleidungsindustrie soll das Gesetz ab 250 Mitarbeiter:innen und 40 Millionen Euro Umsatz gelten. Momentan können Unternehmen diesen Sorgfaltspflichten freiwillig nachkommen. Das scheitert jedoch in vielen Fällen.
“Freiwillige Systeme funktionieren nicht”, sagt Stefan Grasgruber-Kerl, Lieferketten-Experte bei Südwind. “Rana Plaza ist das beste Beispiel dafür. Wenige Monate vor dem Einsturz gab es dort eine Überprüfung, die alles für sicher befunden hat. Es braucht verbindliche Sorgfaltspflichten entlang der gesamten Lieferketten und seriöse und unabhängige Kontrollen durch Überprüfungen von Gewerkschaften und NGOs vor Ort”, betont er.
Südwind begrüßt den wichtigen, lange überfälligen Schritt, sieht aber noch große Schlupflöcher im aktuellen Gesetzesentwurf. Um künftige Katastrophen und systematische Ausbeutung zu bekämpfen, braucht es Nachschärfungen. Der aktuelle Entwurf für ein EU-Lieferkettengesetz beschränkt die Sorgfaltspflicht der Unternehmen auf “etablierte Geschäftsbeziehungen”. Südwind fordert ein Lieferkettengesetz, das die gesamte Wertschöpfungskette umfasst.
Das Lieferkettengesetz muss außerdem für alle Unternehmen aller Größen gelten. Laut aktuellem Entwurf sind rund 99 Prozent der EU-Unternehmen ausgenommen. Für den Finanzsektor werden überhaupt nur reduzierte Sorgfaltspflichten vorgesehen.
Des Weiteren müssen die zivilrechtliche Haftung und der Zugang zum Recht für die Menschen entlang der Lieferkette, wie etwa den Näher:innen in Textilfabriken, gestärkt werden. Die Beweislast vor Gericht darf nicht den Kläger:innen auferlegt werden, da diese oft kaum Zugang zu Beweisen haben und nur über begrenzte Mittel verfügen. Südwind fordert, dass die jeweiligen Unternehmen die Beweislast tragen sollen. Eine zivilrechtliche Haftung ist im aktuellen Entwurf zwar vorgesehen, die Umkehrung der Beweislast jedoch nicht.