Nachhaltige Entwicklung braucht Bildung für ALLE, Wiener Rathaus, Wappensaal
Am 28. November veranstaltete die Stadt Wien in Kooperation mit Südwind die diesjährige Entwicklungspolitische Tagung zum Thema “Nachhaltige Entwicklung braucht Bildung für ALLE“. Sechs nationale und internationale Expert*innen teilten ihre vielfältigen Perspektiven und Erfahrungen mit dem Publikum mit einem besonderen Fokus auf das SDG 4: „Ensure inclusive and equitable quality education and promote lifelong learning opportunities for all.“
Es wurde über die Rolle von Bildung als Menschenrecht und als Türöffner für ein würdevolles Leben gesprochen und die großen Herausforderungen benannt, die es noch zu überwinden gilt, um allen Menschen eine qualitätsvolle Bildung zu ermöglichen.
Die Tagung wurde im Namen der Stadt Wien von Bernhard Bouzek, Referent für Entwicklungszusammenarbeit ung Humanitäre Hilfe sowie von Peter Hanke, Stadtrat für Finanzen, Wirtschaft, Digitalisierung und Internationales, eröffnet. Herr Hanke betonte die Verantwortung der Stadt Wien, sich für Bildung einzusetzen. Da Wien wiederholt als lebenswerteste Stadt der Welt ausgezeichnet wurde, sei es ihre Aufgabe für einen gewissen Ausstrahlungseffekt zu sorgen.
Moderatorin Natalie Plhak, Obfrau von Südwind Wien, hob hervor, dass die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) für alle Länder der Welt gelten, für Österreich ebenso wie für Uganda oder Libanon.
Bilal Barakat, Senior Policy Analyst für den Global Education Monitoring Report (GEM Report) der UNESCO, sprach in seinem Vortrag über die globale Bildungsarchitektur und die Schwierigkeit, tatsächlich die Menschen zu erreichen, die bisher den wenigsten Zugang zu Bildung haben. Eine wesentliche Veränderung in der Entwicklungszusammenarbeit (EZA) für Bildung ist der Anstieg multilateraler Programme, gegenüber bilateralen Anstrengungen. Zur Erreichung des SDG 4 sieht Barakat noch einen weiten Weg: „The world is not on track for SDG 4, not even close.“ Um die Dringlichkeit des Themas zu verdeutlichen, rechnete er vor, dass Schüler*innen, die im Jahr 2030 eine höhere Schulbildung abschließen würden, bereits jetzt in eine Schule gehen müssten. Wichtig sei aber auch, sich nicht nur auf den Zugang zu Schulen zu konzentrieren, sondern auch was in diesen Schulen gelehrt wird. Studien zeigten, dass viele Kinder keine grundlegende Bildung haben, obwohl sie zur Schule gehen. Auch wenn es keine einfachen Antworten auf die komplexen Herausforderungen gebe, dürfe die Antwort keinesfalls sein, aus Unsicherheit nichts zu tun oder nur pragmatisch, statt ambitioniert zu handeln.
Im zweiten Vortrag plädierte Prof. Leon Tikly von der Universität Bristol für eine transformative Bildung und hob besonders den negativen Einfluss des Kolonialismus und der Apartheid auf die Bildungssysteme im Globalen Süden hervor. Durch die Kolonialmächte wurde in den kolonisierten Ländern ein eurozentrischer Lehrplan etabliert, ohne Rücksicht auf lokales Wissen und oftmals ohne Relevanz für die Schüler*innen vor Ort. Dieser Umstand sei bis heute spürbar und trage eine große Mitschuld am Zustand vieler Bildungssysteme im Globalen Süden. In diesem Zusammenhang sprach Prof. Tikly auch von einer „learning crisis“ und stellte die These auf, dass Bildung in Ländern des Globalen Südens nicht zur Entwicklung beigetragen haben, sondern im Gegenteil dieser entgegenstehe, da meist nur eine kleine Elite Zugang zu Bildung hat und diese nutzt, um den Rest der Bevölkerung zu unterdrücken.
Irene Katzensteiner vom Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung gab als dritte Rednerin einen Überblick über die Umsetzung des SDG4 in Österreich. Gleich zu Beginn betonte sie ihre Freude darüber, dass auch Österreich bei einer Tagung zur Erreichung von Entwicklungszielen vertreten ist, da eben die SDGs alle Länder betreffen. Im Kontext des SDG 4 habe Österreich zwei zentrale Wirkungsziele festgelegt: die Erhöhung des Leistungs- und Bildungsniveaus der Schüler*innen und die Verbesserung von Chancen und Geschlechtergerechtigkeit im Bildungswesen. Für die Umsetzung der Ziele ist die Bildungsreform zentral, die regionale Cluster, erweiterte Schulautonomie sowie ein Qualitätsmanagement für Schulen vorsieht.
Audio Mitschnitt
Nach einer Kaffeepause eröffnete Margarita Langthaler von der Österreichischen Forschungsstiftung für Internationale Entwicklung (ÖFSE) den zweiten Teil des Nachmittags. Sie sprach insbesondere über die Notwendigkeit einer transformativen Bildung (SDG 4.7.). Transformative Bildung zielt auf gesellschaftlichen Wandel ab, auf individueller Ebene, ebenso wie auf struktureller und institutioneller. Um eine solche Bildung zu ermöglichen, müsse das Bildungssystem dringend verändert und an die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts angepasst werden. Hierbei gehe es um die drei Bereiche Wissen, Kompetenzen sowie Werte und Einstellungen. Auf struktureller Ebene bedeute dies, die Bildungsbeteiligung anzuheben, insbesondere für Frauen und Mädchen, arme und benachteiligte Bevölkerungsgruppen, Migrant*innen und Menschen mit besonderen Bedürfnissen. Bildung müsse in gleichem Maße Lebenschancen für alle eröffnen. Frau Langthaler stellte fest, dass Österreich besonders bei der Schaffung von Bildungsgerechtigkeit großen Nachholbedarf habe. Die frühe Selektion von Kindern nach der vierten Schulstufe sei eines der Hindernisse für die Erreichung von SDG 4 hierzulande.
Irita Opara von Jugend Eine Welt stellte die Arbeit der Organisation in Afrika anhand eines konkreten Projekts vor. Die Organisation sieht Bildung und Berufsbildung als Schlüssel für Entwicklung und möchte durch ihr Engagement unter anderem helfen, mehr formelle Arbeitsverhältnisse zu schaffen, um den Menschen eine gute Zukunft zu ermöglichen. In einer Pilotphase wurde von 2016-2018 eine Ausbildung im Bereich Photovoltaik in vier Berufsschulen in Äthiopien ermöglicht. Im Folgeprojekt, das von 2019 bis 2022 läuft, wird an neun Berufsschulen in Uganda und Äthiopien Solarausbildung und Umweltbildung betrieben. Konkret wird eine Ausbildung als Elektrotechniker*in ermöglicht, um Solarenergiezellen installieren und warten zu können. Nach dem Prinzip „Train the Trainer“ werden außerdem lokale Lehrkräfte ausgebildet, um langfristig junge Menschen vor Ort in diesen Berufen ausbilden zu können. Durch die Verbreitung von Solarenergie werden außerdem die Lebensumstände vieler Menschen verbessert, die bisher keinen (regelmäßigen) Zugang zu Strom haben.
Im letzten Vortrag des Tages stellte Flutra Gorana die Arbeit der Organisation War Child Lebanon vor. Im Projekt „Can’t Wait to Learn“ lernen Kinder durch pädadgogische Spiele auf Tablets schrittweise das Lesen und Schreiben. Bei der Entwicklung der Spiele werden die Kinder miteinbezogen und können eigene Charaktere entwerfen, die vom Designerteam umgesetzt werden. In einer ersten Pilotphase waren 40 Kinder am Projekt beteiligt, inzwischen wird das Projekt landesweit umgesetzt und hat bereits über 9000 Kinder im Alter von 10-13 erreicht. Alle teilnehmenden Kinder waren noch nie zuvor in einer Schule oder haben seit mindestens drei Jahren nicht mehr am Unterricht teilgenommen. Viele sind Kinder von Geflüchteten aus Syrien und Palästina und sind vom Trauma ihrer Eltern beeinflusst. Ein Aspekt, der auch im Projekt berücksichtigt wird, indem die Kinder psychosoziale Unterstützung bekommen. Eine große Herausforderung für Kinder aus syrischen Familien sei die Sprache, da in Libanon bestimmte Schulfächer auf Französisch, nicht auf Arabisch, unterrichtet werden. Aus diesem Grund hat War Child neben den digitalen Spielen auch ein Brettspiel auf Arabisch für jüngere Kinder entwickelt.
In einer abschließenden Podiumsdiskussion hatte das Publikum die Möglichkeit Fragen an die Vortragenden zu stellen. Von konkreten Nachfragen zu Solarenergie-Projekten in afrikanischen Ländern bis zu großen strategischen Fragen nach der Realisierbarkeit des SDG 4 bis 2030, wurden viele Aspekte aufgegriffen. Einigkeit herrschte darüber, dass die internationale Gemeinschaft vor großen Herausforderungen im Bereich Bildung steht und das Bildung der Schlüssel zu vielen anderen Bereichen, wie z.B. Armut, Gesundheit und Gleichberechtigung ist. Bilal Barakat schloss mit einem Plädoyer für die Zuversicht ab: es sei gefährlich angesichts der Herausforderungen in eine fatalistische Denkweise zu verfallen. Lieber sollten wir ambitioniert, gemeinschaftlich und inklusiv handeln, um Bildung für ALLE möglich zu machen.
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